Laudatio für „Die Stillen Rosen“ durch Renate Höppner
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe engagierte Menschen in unserem schönen Sachsen – Anhalt, liebe Preisträger,
gestatten Sie mir zwei persönliche Vorbemerkungen:
Ich habe in meinem Leben sechs Sprachen gelernt mit mehr oder weniger Erfolg. Mit Deutsch bin ich aufgewachsen, ich liebe diese schwer zu erlernende Sprache. Deutsch ist richtig schwer. Die Formenlehre geht, aber die Satzlehre ist sehr kompliziert. Das sollten wir nie vergessen, wenn von den Geflüchteten so gern verlangt wird, dass sie innerhalb kürzester Zeit unsere Sprache sprechen sollen. Deutsche Grammatik ist schwer!
In der Schule habe ich acht Jahre Russisch gelernt mit dem Erfolg, dass ich es langsam noch lesen kann und Bruchstücke verstehe. Ich habe Russisch eigentlich nie gebraucht bis auf ein paar Anfragen von russischen Touristen in Berlin und ich bin mit dieser Sprache nicht erwachsen geworden.
Schade, eigentlich, denn im Vergleich zu Deutsch ist Russisch eine leichtere Sprache jedenfalls was den Satzbau anbetrifft.
Englisch habe ich sechs Jahre gelernt, immer mal wieder gebraucht. Es geht leidlich, ich verhungere nirgends in der Welt, aber es perfekt wie meine Kinder zu sprechen davon bin ich weit entfernt. Aber die Menschen unterhalten sich gern mit mir und lieben meiner kreativen Art Englisch zu sprechen weil ich gern mal die Zeitformen verwechsele und sie was zum lachen habe.
Griechisch kann ich noch lesen und mit Hilfe des Wörterbuches leidlich übersetzen, aber mit dem griechischen Freund meiner Tochter spreche ich Englisch, denn Altgriechisch unterscheidet sich doch ziemlich von Neugriechisch.
Hebräisch kann ich noch lesen, das übersetzen fällt mir schwer, könnte ich schnell wieder in Erinnerung holen, Hebräisch ist bis auf das Lesen – und natürlich schreiben von rechts nach links und die fremden Buchstaben für uns ungewohnt, aber insgesamt eine sehr leicht zu lernende Sprache, weil es fast keine Grammatik, nur eine Formenlehre gibt, also Fleißarbeit beim Lernen.
Bleibt noch Latein, mein großes Latinum war super, sozusagen summa cum laude – völlig unverdient – das verdanke ich Reinhard.
Trotz sechs Sprachen fühle ich mich als Analphabet.
Die zweite Vorbemerkung: 1996 war ich das erste Mal in den USA. Friedemann, unser Sohn hatte seine Highschool Abschluss gemacht und ich fuhr zu seiner Graduation nach Detroit und dann mit ihm noch eine Woche nach Chicago, Toronto und New York. Die Gradution Feier , genauso herzzerreißend wie in Filmen, war auf dem großen Sportplatz der riesengrossen Highschool, wie ein kleines Stadion und wie selbstverständlich dabei ein Lehrer, der groß auf die Leinwand übertragen wurde, in Gebärdensprache dolmetschte. Die Schüler untereinander, auch Friedemann konnten sich gut in Gebärdensprache verständigen. Und überall die Schilder in Blindenschrift. Waren wir mit dem Bus unterwegs und ein Rollstuhlfahrer stand an der Haltestelle, mitten im dicksten Manhattan Verkehr, stieg der Busfahrer seelenruhig aus, macht den Platz im Bus frei, klappte die Schräge herunter, half dem Rollstuhlfahrer herein, klappte die Schräge wieder hoch und fuhr weiter. Keiner murrte, es war selbstverständlich. Und überall die Blindenschrift. Handicapped people sind wir doch alle, sagte mir später jemand in einer Kirchgemeinde, die eine gewaltige Holzrampe an ihrer Kirche hatten, die in Deutschland kein Denkmalschutz je genehmigt hätte. Diese Offenheit und Toleranz, diese Weitsicht, wie sieht es für die, den aus, der nicht so kann wie ich, weil er nicht sieht, sie nicht hört, oder das Kind nicht laufen kann – das war viel selbstverständlicher als bei uns. Da habe ich viel von den Amerikanern gelernt, diese Selbstverständlichkeit Menschen mit einen Handicap in die Gesellschaft zu integrieren.
Als vor ein paar Jahren das Thema der Inklusion wie ein Wasserfall über uns kam, da wurde, vielleicht wirklich ein wenig deutsche Mentalität, scheinbar alles ganz schnell und toll gemacht, Inklusion für alle, ohne entsprechende Ausbildung und Bereitschaft bei vielen Lehrern und Schulen, oft ohne bauliche Voraussetzungen und vor allem mit den ganzen Analphabeten wie ich. Oder bist du etwa kein Analphabet, Rüdiger oder Katja oder Elmar? Ich bin es, leider, was die Gebärdensprache angeht.
Ich habe immer mal wieder kleine Anläufe gemacht, weil ein Kollege von mir, Pfarrer für Hörgeschädigte war und diese Sprache gut beherrschte, aber ich habe nie durchgehalten. Wenigsten klatschen kann ich und das möchte ich jetzt für unsere Preisträger tun!
Zwei Wölfe, Irene gehörlos und Hans-Jürgen ein hörender Wolf und Martina Soppa gehörlos, die uns mit dem, was sie tun, deutlich von Augen führen, wo unsere Defizite liegen. Und sie geben uns die Chance zu lernen.
Mit viel Tiefgang und Humor erstellen sie seit drei Jahren barrierefreie Videos. Sie wollen im Netz um Verständnis und um Teilhabe auch von Gehörlosen am allgemeinen Leben und an der Öffentlichkeit werben. Alle Videos sind für uns Analphabeten mit Untertitel versehen.
Alle, die hören können mit ihren Ohren bitte ich einmal kurz die Augen zu schließen: Stellen sie sich vor:
sie hören nicht das ersten Singen der Vögel im Frühling
sie hören nicht das liebevoll gesagte ich liebe dich
sie hören nicht das Weinen ihres Kindes
sie hören nicht die jubelnden Posaunen und Trompeten im Jauchzet Frohlocket des WO
sie hören nicht das Rauschen eine Baches
und nicht das Auto, das um die Ecke biegt
sie hören nicht das Rauschen der Wellen und das leise Fallen des Schnees.
Ich stelle mir das ganz schwer vor. Ich liebe es zu hören. Und ich schäme mich, dass ich keine Gebärdensprache kann.
Die drei haben sich einen wunderbaren Namen gegeben, es sind die Stillen Rosen, die uns mit ihrer Stille aufrütteln wollen, und für mehr Barrierefreiheit für Menschen mit Handicap in unserer Welt einzusetzen. Und sie tun das mit herausragendem Engagement selber. Sie lassen uns in ihren Videos teilhaben an ihrem Leben und bringen uns zum nachdenken wenn wir mit ihren durch des Lager Dora gehen in Nordhausen mit ihrer klaren Botschaft nach Frieden. Sie sind lustig und bringen uns zum lachen. Sie sind politisch und fordern mehr Teilhabe und Barrierefreiheit. Sie sind fromm, singen mit ihren Händen und Gesichtern Lieder. Sie lassen uns neu lernen dass unsere gesprochenen Worte nur ein kleiner Teil unserer Kommunikationsfähigkeit sind. Durch diese Videos lernen wir neu, was Körpersprache bedeutet. Überzeugen sie sich selber unter www.facebook.com/StilleRosen/ .
Lassen Sie nicht nach. Behalten sie die Freude an ihren Videos. Rütteln sie uns alle wach. Ich gratuliere den Stillen Rosen von ganzem Herzen zum ersten Preis des Reinhard – Höppner – Engagementpreises 2019 und bitte sie alle um einen barrierefreien Applaus.