1. Preis (500 Euro): Projekt „BürgerMobil“ | Nachbarschaftshilfe „Miteinander-Füreinander“ e. V., Werben

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Laudatio – Renate Höppner, Pfarrerin i. R.

Renate Höppner, Pfarrerin i. R.Gestern hätte Reinhard seinen 76. Geburtstag gefeiert. Ich habe viele liebe Anrufe von Freunden und Verwandten bekommen, die mir sehr gutgetan haben und am Nachmittag kamen zwei Freundinnen von mir mit wunderbarem Kuchen vorbei und meinten, jetzt feiern wir Geburtstag. Wir saßen zusammen und haben uns auch vieler schöner Feiern erinnert, die wir miteinander hatten. Ich hatte dann noch viel Zeit, mich zu erinnern, wie Reinhards eigenes ehrenamtliches Engagement ausgesehen hat. Viel hatte sein Engagement mit Kirche zu tun, wir lernten uns kennen, ich war Schülerin, und er Student als wir uns als Jugend-Parlamentarier in der Kirche kennen gelernt haben. Er hat in seiner Zeit als Mathematiker am Akademieverlag in Berlin und als Fraktionsvorsitzender der SPD-Landtagsfraktion als ehrenamtlicher Parlamentspräsident des Kirchenparlamentes manchen Monat fast seine komplette Freizeit dieser Arbeit gewidmet. 15 Jahre war er Kinderbeauftragter des Akademieverlages und wir haben gemeinsam für die Kinder aller Mitarbeiter herrliche Feste und Feiern, organisiert. Mich hat er in seinem Urlaub zu Freizeiten mit Jugendlichen begleitet in der CSSR, in Ungarn und in Rumänien. Er ist in seinem Urlaub später mit Jugendlichen auch in Taizé in Frankreich gewesen. Selbstverständlich war für ihn, als ich Gemeindepfarrerin war, unsere Kirche im Winter jeden Sonntag zu heizen und wenn es richtig kalt war, hieß dies, um 4:00 Uhr morgens aufzustehen. Das hat er auch noch im Winter 94/95 gemacht, als er schon Ministerpräsident war.

Wenn die Konfirmanden fragten, kann nicht ihr Mann mal wieder da sein, wusste ich, dass wieder eine Matheklausur näherkam und wenn es irgendwie ging, hat er für die Jugendlichen Zeit gefunden, um ihnen Mathe zu erklären. Reinhard konnte, wie fast kein anderer, die Kirche wunderbar schmücken. Wenn er Sonnabend spät abends nach Hause kam, ging er oft noch rüber in die Kirche und machte die Vasen für den Altar zurecht. Der Weihnachtsbaum war immer unter seiner Anleitung ein Schmuckstück und viele, die zu uns kamen meinten, keine Kirche in Magdeburg hat einen schöneren. Er machte dies alles eben nicht nur aus Liebe zu mir, sondern er meinte, unsere Gesellschaft lebt davon, dass jeder etwas besonders macht, hinaus über seine Aufgaben, für die er bezahlt wird, sonst fällt auch zu viel Schönes weg oder es ist eben, wenn es eine Dienstleistung wird, unbezahlbar. Beim Deutschen Evangelischen Kirchentag war er über Jahrzehnte ehrenamtlich engagiert und hat bundesweit unentgeltlich Vorträge gehalten, Initiativen besucht und ermutigt, die Adam von Trott Stiftung lange Jahre geleitet und die Martin Niemöller Stiftung geprägt.

Ich kann ihnen heute nicht alles aufzählen, was Reinhards ehrenamtliches Engagement betrifft, aber diese bunte Auswahl macht deutlich, wie breit gefächert sie war. Ehrenamtliches Engagement ist eben unbezahlbar gut. Unsere Gesellschaft lebt davon. Sie ist der Blumenstrauß auf dem Tisch der Gesellschaft, auf dem das Essen zwar steht zum satt werden, aber nicht zum glücklich werden. Ehrenamtliches Engagement macht eine glückliche Gesellschaft möglich.

Wir haben heute schon von wunderbaren Beispielen gehört.
Aber wer sind die Menschen, die dieses Engagement z. B. für ihre Mobilität ganz dringend in unserer Gesellschaft brauchen?

Die Flasche in den Kühlschrank stellen, schnell mal die Krümel vom Boden auffegen, ein Tablett tragen – alltägliche Dinge, über die wir nicht nachdenken müssen – normalerweise – für mich gerade eine richtig große Hürde. Eingeschränkte Mobilität, so heißt das im Fachjargon. Geht vorbei, mein neues Schultergelenk habe ich erst seit sieben Tagen, vorgestern lag ich noch im Krankenhaus; ich brauche nur Geduld, aber eben für jeden dieser alltäglichen Handgriffe im Moment Hilfe. Die habe ich, unser wunderbarer Sohn schenkt mir seinen Resturlaub, und ist für mich da, hat mich hierhergefahren, bindet mir die Schuhe zu wie einem Kindergartenkind. Und in den nächsten Wochen helfen mir wunderbare Freundinnen. Ich habe ein gutes soziales Netz, eine tolle Familie und die begründete Chance, dass es mit jedem Tag ein klein wenig besser wird mit der Mobilität. Aber wieviel schwerer ist es, wenn die Mobilität immer eingeschränkt ist?

Erna wohnt ihr ganzes Leben schon in dem kleinen Dorf, sie hat nie woanders gelebt. Sie hat sich dort verliebt und geheiratet, die drei Kinder bekommen, die wohnen längst weit weg, ihr Erwin ist vor vier Jahren gestorben, die Kinder telefonieren täglich mit der Mutter und geben sich Mühe, das wenigstens einmal im Monat eines ihrer Kinder oder Enkel bei ihr vorbeischaut und ein wenig Zeit mitbringt zur Hilfe. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben. Vieles baut sie in ihrem Garten an und für den monatlichen Einkauf in der Stadt sorgen die Kinder und Enkel. Aber eines fällt ihr ganz schwer zu akzeptieren. Zum Grab von ihrem Erwin kommt sie nicht allein, im Dorf gibt es keinen Friedhof, dazu ist es zu klein, der ist fünf Kilometer weg, Fahrradfahren geht schon ein paar Jahre nicht mehr und so weit laufen, nicht dran zu denken. Und immer den Nachbarn um diese Gefälligkeit bitten, sie hinzufahren, mag sie nicht, der hat mit der Pflege seiner Frau selbst genug zu tun.

Carla, die Großstadtpflanze, hat sich bei einem Musikfestival in diesen gutaussehenden Entwicklungsingenieur verliebt. Sie leben gemeinsam auf dem alten Bauernhof seiner Eltern, abseits des kleinen Dorfes. Die vier Kinder kommen in kurzen Abständen zur Welt. Carla ist sehr glücklich und mit Arbeit ausgelastet. Sie ist mit ihrem Leben sehr zufrieden. Am Wochenende machen alle gemeinsam den Großeinkauf für die Woche mit der Familienkutsche, den Rest erledigt Carla gern mit dem Fahrrad. Ein zweites Auto haben sie nicht, alles Ersparte stecken sie in die Renovierung des alten Hofes, der schon ein Schmuckstück geworden ist. Er arbeitet in Wolfsburg und braucht das Auto jeden Tag. Schlimm wird es, wenn eines der Kinder krank ist und sie zum Kinderarzt 20 Kilometer fahren muss. Taxi – das sprengt ihr Wochenbudget, da ist Carla immer am Verzweifeln.

Klaus und Sabine sind ein glückliches Ehepaar, sie sind in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Sie sind glücklich, dass sie beide gesund sind. Ihr Auto, stolz erworben 2 Jahre nach der Wende, gut gepflegt, ist immer nur von ihm gefahren worden, sie hatte nie den richtigen Mumm zum Autofahren. Zum nächsten kleinen Supermarkt fährt er noch, die Strecke kennt er, obwohl ihm seine Augen zunehmend zu schaffen machen. Für ihren Wunsch, ab und zu mal in die Kreisstadt zu fahren zum Stadtbummel hat er kein Verständnis, er mag es nicht, und wenn er ehrlich ist, traut er sich den weiten Weg auch nicht mehr zu. Sie aber möchte gern ab und zu sich mit ihrer alten Schulfreundin treffen, die dort in der Kreisstadt im betreuten Wohnen wohnt und mit ihr durch die Stadt bummeln. Das geht aber so nicht.

Ich könnte ihnen jetzt noch von manchen Menschen erzählen, die jetzt sehr dankbar sind, weil es diese Menschen gibt, die den ersten Preis des Reinhard-Höppner-Engagementpreises 2024 bekommen.

Sie sorgen dafür, dass Sabine ab und zu zu ihrer Freundin fahren kann und das bezahlbar ist, dass Erna an das Grab von Erwin fahren kann und dort immer Blumen aus ihrem schönen Bauerngarten stehen. Sie sorgen dafür, dass Carla mit ihren kranken Kindern zum Kinderarzt fahren, und ihr Mann weiter nach Wolfsburg zur Arbeit pendeln kann. Sie sind da, die Engel vom Verein „Miteinander-Füreinander“ des Projektes „BürgerMobil“. Die 16 ehrenamtlichen Fahrerinnen tun dies seit 2014 für die Menschen in der nördlichen Altmark. Sie machen alles ehrenamtlich und investieren viel Zeit. Sie benötigen dringend einen Ersatz für den alten Bully, der ihnen seit 2014 sehr gute Dienste erwiesen hat. Ich danke von ganzem Herzen allen, die den Menschen dort für ihre Mobilität ihre Zeit und ihre Zuwendung schenken. Sie sorgen nicht nur für Mobilität, sondern auch für das Miteinander durch ihr Dasein füreinander. Mich freut dies auch besonders, weil Reinhard, als Junge im Dorf aufgewachsen, immer einen Blick für die Probleme der Menschen auf dem Lande hatte.

Ich wünsche dem Projekt „BürgerMobil“ eine gute Zukunft und den Ehrenamtlichen von „Miteinander-Füreinander“ sage ich einfach DANKE!